Künstliche Intelligenz & der Mittelstand: Unser Weg zur intelligenten Baugruppenprüfung
Künstliche Intelligenz eignet sich im industriellen Bereich nur für hochstandardisierte Prozesse? Für den Mittelstand ist das Thema nichts? Weit gefehlt!
Ein schwarzer Würfel vor der Selektivlötwelle - und jetzt?
Bläuliches Licht erhellt das Fließband, auf dem eine THT-Baugruppe langsam hindurchfährt. Die Bestückerin am Tisch nebenan arbeitet bereits an der nächsten Baugruppe. Auf dem Weg in die Selektivlötwelle passiert die Baugruppe die schwarze Box, bevor die Teile verlötet werden. Eben der Alltag eines EMS-Dienstleisters – aber was hat der Würfel dort zu suchen?
„Es ist schon eine ziemliche Innovation“, sagt Andreas op den Winkel, einer der beiden Projektleiter bei A+B Electronic.
In der Box hängen 2 Kameras, die von jeder hindurchfahrenden Baugruppe je 2 Bilder machen, 4 Bilder pro Baugruppe. Bei etwa 600 Baugruppen am Tag an dieser Anlage mit 5 Tagen die Woche macht das rund 12.000 Bilder die Woche. LED-Streifen sorgen für die optimale Beleuchtung innen, während die schwarzen Wände das Licht von außen abschirmen.
Nur eine nette technische Spielerei? Wohl kaum.
„Wir reden hier von einer automatischen und vor allem selbstlernenden Inspektion von THT-Baugruppen.“
Künstliche Intelligenz also. Selbstlernende neuronale Netze. Backpropagation. Industrielle Bildverarbeitung. Alles erstmal Buzzwords, die nicht direkt in Verbindung mit EMS-Dienstleistern stehen. Industrie 4.0 und Smart Factory mit KI sind mittlerweile keine Zukunftsmusik mehr. Stattdessen nimmt das Thema KI in der Industrie immer mehr Fahrt auf.
SNAP GmbH – Moving humans with technology
SNAP GmbH, das ist ein Unternehmen, das sich zum Ziel gesetzt hat, Brain-Computer-Interface-Systeme (kurz BCI-Systeme) aufzubauen. Sie haben sich auf die Arbeit mit KI-Technologie spezialisiert und gemeinsam mit uns sind sie das Projekt zur intelligenten Baugruppenüberprüfung angegangen.
Künstliche Intelligenz, neuronale Netze, Backpropagation …. und EMS?
Im Frühjahr 2021 werden Andreas op den Winkel und ein weiterer Kollege aus dem Prüfmittelbau von A+B Electronic gefragt, ob sie ein Projekt im Bereich der intelligenten Baugruppenüberprüfung übernehmen möchten. Entwicklung der Hardware, Bau der Fotobox, Projektmanagement und Kommunikation mit dem Projektpartner, der SNAP GmbH. Also wird ein Projektplan entworfen und ein Konzept geschrieben.
Zu Beginn stellen sich viele Fragen. Wo wird das System im Prozess positioniert? Reicht die Qualität der Bilder? Wie lässt sich die Beleuchtung optimieren? Dr. Corinna Weber ist CEO von SNAP und erinnert sich: „Für uns war das wichtigste, dass wir damit starten Bilder aufzunehmen und die Daten zu digitalisieren. Wir kümmern uns um die Programmierung der künstlichen Intelligenz und bilden die Schnittstelle zwischen Hardware und Software ab. Schlussendlich ist es das Ziel, Bilddaten möglichst intelligent und automatisiert auszuwerten.“
Die Testphase: Einarbeitung des Algorithmus
„Wir sind gerade in der Testphase. Das System lernt, was eine Platine ist und soll im nächsten Schritt dann Bauteile identifizieren und klassifizieren“, fasst op den Winkel zusammen. Wie bei einem neuen – und zugegeben vielleicht etwas fachfremden – Mitarbeiter geht es erstmal an die Einarbeitung: Was ist ein Kondensator? Was ist ein IC? Wo gehört welches Bauteil hin?
Jetzt wird es technisch. Denn der automatisierte Lernprozess ist langwierig und nicht ganz einfach. Durch große Datenmengen, wie z.B. die Bilder von Bauteilen, lernt ein künstliches neuronales Netz Muster in den Daten zu erkennen. Und eben auch Abweichungen. Dabei läuft das Training über eine sogenannte Backpropagation, oder auch Fehlerrückführung. Ganz vereinfacht gesagt werden verschiedene Szenarien im System durchgespielt, um so mögliche Fehler und Auswirkungen aufzuspüren und automatisch Anpassungen vorzunehmen.
Herausforderungen der KI Bilderkennung
„Für das Projekt arbeiten wir mit klassischen Methoden der künstlichen Intelligenz und bauen ein System auf, das sich selbst optimieren kann“, erklärt Dr. Weber. Natürlich hat man bei neuen Technologien auch immer mit Herausforderungen zu tun. „Im Bereich der KI liegt die größte Herausforderung wohl in der Heterogenität der Daten. Die Daten kommen aus verschiedenen Quellen und sind unterschiedlich aufbereitet. Hier müssen wir eine Lösung finden, damit die Mitarbeiter keinen Mehraufwand z.B. beim Wechsel von Projekten an der Bestückungslinie haben. Das System muss sich automatisiert die Informationen zur Platine ziehen, die es zur Überprüfung benötigt.“ Es gilt die Devise: Je mehr Aufwand man in die Aufbau- und Testphase steckt, desto besser funktioniert die Automatisierung im laufenden Prozess.
Die Probleme mit der Hardware
Im Bereich der Hardware liegt ein Problem in den Bauteilhöhen. Op den Winkel fasst es zusammen: „Störeinflüsse wie Licht müssen ausgegrenzt werden, damit die Bilder eine möglichst gleichbleibende Qualität haben. Und je höher ein Bauteil ist, desto höher muss auch der Schacht sein, durch den das Teil in die Box fährt. So kommt auch mehr Licht von außen hinein.“
Wenn das System alle Bauteile erkennt, geht es um die Optimierung der KI-Prozesse. „Dann müssen wir die Leiterplattendaten integrieren. Diese geben die Position der Bauteile auf der Platine vor. Wir können dann für die Bildverarbeitung sogenannte ROIs, Regions of Interest, festlegen. So muss nicht das gesamte Bild Pixel für Pixel betrachtet werden, sondern nur ein vorgegebener Bereich. Das macht die Auswertung und den Lernprozess effizienter.“
Wie EMS und künstliche Intelligenz bei A+B Electronic zusammenfinden
Es gibt natürlich schon AOI-Prozesse im Bereich SMD und THT. „Aber hier müssen wir selbst programmieren und immer wieder justieren“, sagt op den Winkel. „Das Programm muss jedes Mal von uns angepasst werden, wenn zum Beispiel zu viele Pseudofehler auftauchen. Bis dahin haben die Kollegen in der Revision aber schon viele Baugruppen zu überprüfen, die im Prinzip keine Fehler enthalten. So kann das System sich selbst anpassen, in Echtzeit. Wir haben viel weniger damit zu tun.“
„Oder speziell im Bereich THT. Es reicht schon einen Kondensator auf der Baugruppe zu verdrehen. Dann muss er manuell ausgelötet, umgedreht und wieder eingelötet werden. Das kostet Zeit. Aber wenn die KI den Fehler vorher erkennt, dann stoppt das Fließband, die Kollegen entnehmen die Baugruppe, korrigieren den Fehler und fertig. In der Revision könnten die aufwendigen Qualitätskontrollen bei gleichbleibender Qualität auf Stichproben reduziert werden.“
Künstliche Intelligenz im industriellen Mittelstand
Produktionsprozesse werden durch den Einsatz von KI zuverlässiger und effizienter. Und das auch schon in mittelständischen Unternehmen. „Wir sind eigentlich auch erstaunt, dass KI in der Produktion noch nicht so häufig eingesetzt wird. Man kann den Mitarbeitern so einen Teil der Last abnehmen, denn die KI denkt mit“, so Dr. Weber.
Gerade die Qualitätskontrolle kann davon profitieren, denn die großen Datenmengen liefern stetig neue Einblicke und Informationen zu den Prozessen. Man kann das Thema KI in der Produktion auch weiterdenken. „Bei der Bestückung selbst könnte es eingesetzt werden - oder in der Gerätemontage“, meint Andreas op den Winkel. „Oder die Vernetzung der Maschinen untereinander, um die gesamten Fertigungsprozesse zu verschlanken“, überlegt Dr. Corinna Weber.
Während das Projektteam über weitere Möglichkeiten von künstlicher Intelligenz in unseren Fertigungsprozessen sinniert, arbeitet die Bestückerin konzentriert weiter. Eine weitere Platine fährt durch die Fotobox. 4 weitere Bilder werden gemacht. Von außen betrachtet vielleicht nicht spektakulär, aber im Inneren ein riesiger Schritt in Richtung Smart Factory.
Sie möchten einen Einblick in unseren Fertigungsstandort in Huntlosen bekommen und sich die intelligente Box einmal selbst anschauen? Dann erfahren Sie hier mehr über uns – oder Sie nehmen direkt unverbindlich Kontakt mit uns auf. Dann sprechen wir über zukünftige Projekte und wie wir gemeinsam wachsen können.